09.03.2016

Anhörung Dienstrechtsreform: NRW auch im Dienstrecht nur Mittelklasse

Am 07.03.2016 fand die öffentliche Anhörung des Innenausschusses, des Ausschusses Frauen, Gleichstellung und Emanzipation und Unterausschuss Personal des Haushalts- und Finanzausschusses des Landtages statt. Für die DSTG waren die Landesfrauenvertreterin Diana Wedemeier und der stellvertretende Landesvorsitzende Rainer Hengst vor Ort. Die stellvertretende Vorsitzende des Bezirksverbandes Westfalen-Lippe, Andrea Sauer-Schnieber verstärkte die Delegation des DBB NRW. Breiten Raum nahm die Diskussion über die Frauenbeförderungsquote des § 19 Abs. 6 LBG ein.

 

Wertschätzung der Sachverständigen

 

Wegen des Themenspektrums und des straffen Zeitplans hatte man sich in den Ausschüssen drauf verständigt, auf die sonst üblichen Eingangsstatements zu verzichten. Damit wurde den Sachverständigen die Möglichkeit genommen, die wichtigsten Punkte herauszustellen und Fragen der Parlamentarier zu provozieren. So konnten die Sachverständigen nur auf gezielte Fragen der Abgeordneten antworten. Einige Sachverständige kamen deshalb in der sechsstündigen Anhörung gar nicht zu Wort. Der Vorsitzende des DBB NRW übte an der Vorgehensweise scharfe Kritik. "Eine solche Vorgehensweise impliziert eine geringe Wertschätzung der Sachverständigen, aber vor allem - und das ist noch viel entscheidender - eine Geringschätzung der Beamtinnen und Beamten im Öffentlichen Dienst!", so Staude wörtlich.

 

Dienstrecht

Verfassungsmäßigkeit der vorrangigen Beförderung von Frauen

 

Direkt im ersten Themenblock "Dienstrecht" wurde über die geplante Neuregelung des § 19 Abs. 6 LBG ausgiebig diskutiert. Den ersten Aufschlag dazu aus DSTG-Sicht machte Andrea Sauer-Schnieber für den DBB NRW. Sie machte deutlich, dass DBB NRW und DSTG den Gedanken, der hinter der Regelung steckt, durchaus begrüßen, die Regelung in ihrer Wirkung aber zu Verwerfungen führe und so nicht zielführend sei.

 

Sie wies in dem Zusammenhang darauf hin, dass die aktuellen Beförderungslisten auf Beurteilungsrichtlinien mit Binnendifferenzierung und Ausschärfungen fußen, die durch verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung vorgegeben wurden. Durch die geplante Neuregelung findet sich Frauenförderung nach dem Gesamturteil an prominenter Stelle wieder. Das geht noch über Regelungen vor 2011 hinaus, die von den Verwaltungsgerichten moniert wurden. Die Annahme der Verfassungswidrigkeit der Neuregelung durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit liegt daher nahe.

 

Aus Sicht der DSTG und des DBB NRW sei es zielführender früher anzusetzen und damit sicher zu stellen, dass Gerechtigkeit bei Beförderungen bereits im Wege der Beurteilung hergestellt wird. Es dürfe nicht nach Anwesenheit beurteilt werden. "Teilzeit bedeutet nicht Teilleistungen und dies muss über diskriminierungsfreie Beurteilungen sichergestellt werden, da dieser Personenkreis nicht benachteiligt wird", so Sauer-Schnieber.

 

Frauen- und familienfreundliche Finanzverwaltung

 

Dank der Nachfrage des Abgeordneten Martin Abel von Bündnis 90/DIE Grünen, bekamen die DSTG-Vertreter die Gelegenheit, daran anzuknüpfen und die gravierenden Auswirkungen auf die Beförderungslisten in der Finanzverwaltung zu beschreiben.

 

Einleitend machte der stellvertretende Landesvorsitzende deutlich, dass die Finanzverwaltung eine frauen- und familienfreundliche Verwaltung ist, was sich anhand des weiblichen Beschäftigtenanteils in den verschiedenen Laufbahngruppen auch belegen lässt.

 

Anteil weiblicher Beschäftigter nach Laufbahngruppen:

mittlerer Dienst: 70,04 %

gehobener Dienst: 56,22 %

höherer Dienst: 39,86%

 

Mindestens seit den letzten fünf Jahren stellt die Finanzverwaltung im höheren Dienst überwiegend Frauen ein und im gehobenen Dienst in der Spitze sogar bis zu 2/3. Das mag daran liegen, dass die Finanzverwaltung für Frauen, die Beruf und Familie vereinbaren möchten, besonders attraktiv ist. Es kann aber auch daran liegen, dass die besonders guten männlichen Bewerber Ihre Zukunft und Karrierechancen nicht unbedingt in der Finanzverwaltung sehen. Durch eine Regelung wie den § 19 Abs. 6 würde sich diese Situation nur noch weiter verschärfen. Eine Auffassung, die von einer Reihe von Sachverständigen geteilt und auch als Problem für die Nachwuchsgewinnung beschrieben wurde.

 

Auswirkung auf die Beförderungslisten

 

Würde man diese Neureglung auf die aktuell geltenden Beförderungslisten zum 01.07. 2016 anwenden, wären die Auswirkungen gravierend. Bereits ab A11 würde der Frauenvorrang in der Finanzverwaltung greifen. Besonders betroffen wären die Kollegen des höheren Dienstes und der Funktionsämter. Im Übrigen genau der Bereich, den die Landesregierung bereits mit dem Besoldungsgesetz 2013/2014 gegen sich aufgebracht hat.

 

Beispiel Beförderung von A 12 nach A 13 im Funktionsbereich

 

Rainer Hengst unterlegte die Aussage mit Fakten am Beispiel der Groß- und Konzern Betriebsprüfung. Ein Bereich mit knapp 1.800 eingesetzten Prüferinnen und Prüfern, davon 32 % in A 13, 44 % in A 12 und die restlichen 24 % in A 11, A 10 und ein paar wenige in A 9. Ein Bereich, der noch vor zehn bis fünfzehn Jahren männergeprägt und der für Frauen oder Teilzeitbeschäftigte wegen fehlender Möglichkeiten zur Heimarbeit oder des externen Netzzugriffs noch nicht attraktiv genug war, was auch am Anteil der weiblichen Beschäftigten im Vergleich zum Innendienst deutlich wird.

 

Anteil der weiblichen Beschäftigten:

 

BesGr.Gesamt     Regelbereich (Innendienst)      Funktionsämter
A 13 26,45 %38,38%12,96%
A 1243,30 %49,80 %30,09%
A 1162,10 %

 

Besonders deutlich wird die aus unserer Sicht mit dem § 19 Abs. 6 einhergehende Benachteiligung von Männern am Beispiel der Beförderungsliste von A 12 nach A 13, wo es schon seit längerem nur langsam voran geht. Die Beurteilung hat zum 31.12.2015 stattgefunden. Wenn die Listen zum 01.07.2016 aufgrund der Regelung neu sortiert werden müssten, hätte dies zur Folge, dass die nächsten zweieinhalb Jahre - ohne Härtefallregelung - kein Mann mehr befördert würde. "Selbst der Gutachter der Landesregierung, Herr Professor Papier, wies in seinem Gutachten ausdrücklich darauf hin, dass es aber nicht dazu kommen dürfe, dass Männer auf Jahre hinweg von der Beförderung ausgeschlossen würden.", so Hengst.

 

Er machte deutlich, dass die Unruhe und der Unmut gerade im Bereich der Groß- und Konzernbetriebsprüfung besonders groß seien und ihm bereits viele Anfragen zu gewerkschaftlicher Unterstützung in einem möglichen Klageverfahren vorlägen. In diesem Zusammenhang wies er auf eine ihm vorliegende Mail eines teilzeitbeschäftigten Kollegen an die Ministerpräsidentin hin. Der Kollege drückte darin sein Unverständnis darüber aus, dass sich die Förderung nur am Geschlecht festmache und ihm deshalb die bevorstehende Beförderung versagt werden solle, wo er doch als familienbedingt Teilzeitbeschäftigter die gleichen Nachteile wie der in der Begründung zum Gesetz angesprochene Personenkreis erfahren habe. Daran würde deutlich, dass die geplante neue Regelung viele Kollateralschäden mit sich bringe und verfassungsrechtlich bedenklich sei.

 

Praktische Auswirkung auf zukünftige Beurteilungspraxis

 

Anschließend bekam die Landesfrauenvertreterin, Diana Wedemeier, Gelegenheit, die Sicht der Frauen in unserer Verwaltung zu schildern und auf mögliche Auswirkungen für die zukünftige Beurteilungspraxis hinzuweisen. Die bisherige Tendenz, Teilzeitkräften oder auch Müttern nach Beurlaubung eine schlechtere Beurteilung zu geben, werde durch die Neuregelung im Ergebnis eher verstärkt. Denn wie im Gutachten von Prof. Dr. Papier dargelegt, komme bei der Neuregelung eine Beförderung eines männlichen Kollegen nur in Betracht, wenn dieser "offensichtlich" besser geeignet sei als die weiblichen Mitbewerber. Die absehbaren und teils unverhältnismäßig hohen Nachteile im beruflichen Werdegang von männlichen Leistungsträgern könnten dazu führen, dass die vom Beurteiler für sachgerecht gehaltene Differenzierung demnächst nicht mehr im Bereich der Ausdifferenzierung erfolgt, sondern - um Beförderungswirkung zu erlangen - gleich im Gesamturteil Niederschlag findet. Damit würde im Ergebnis aber genau das Gegenteil der eigentlich sinnvollen Zielsetzung des Gesetzgebers, der Förderung von Frauen bei grundsätzlich gleicher Befähigung, Eignung und Leistung, erreicht.

 

Weiter führte die Frauenvertreterin aus, dass mit der Neuregelung die in vielen Jahren mühsam errungene Akzeptanz des Gleichstellungsgesetzes riskiert werde. Dies entnehme sie den vielen Rückmeldungen und E-Mails aus dem Kollegenkreis. Dabei sei festzuhalten, dass die Kritik an der geplanten Neuregelung der Frauenförderung keineswegs nur von männlichen Kollegen komme.

 

Die Mehrzahl der Sachverständigen stufte die Frauenförderung in dieser Form als verfassungsrechtlich bedenklich bis hin zu verfassungswidrig ein. Nur Prof. Dr. Batties von der Humboldt Universität zu Berlin, sowie der DGB und ver.di konnten die rechtlichen Bedenken nicht nachvollziehen und begrüßten ausdrücklich die Regelung in der vorliegenden Fassung.

 

Besoldungsrecht

Familienzuschlag auch für Kinder ab dem 25. Lebensjahr

 

Andrea Sauer-Schnieber wies im Themenblock "Besoldung" noch einmal auf die Benachteiligung von Beamtenfamilien mit Kindern älter als 25 Jahre hin. Als 2007 die Grenze für die Zahlung des Kindergeldes auf das 25. Lebensjahr begrenzt wurde, wurden Beamtenfamilien gleich mehrfach bestraft. Neben dem Kindergeld verloren sie auch den Familienzuschlag und den Beihilfeanspruch für das Kind. Das bedeutet für das Familieneinkommen neben der finanziellen Unterstützung der Eltern bei der Berufsausbildung obendrein noch Einbußen von mehreren hundert Euro. Der BFH hatte in seinem Urteil aus 2013 bereits klargestellt, dass der Familienzuschlag unabhängig vom Kindergeld gezahlt werden kann, wenn damit die Alimentation der Beamtenfamilien sichergestellt wird. Damit wäre der Argumentation der Landesregierung, dass der Familienzuschlag zwangsläufig an das Kindergeld zu gekoppelt ist, die Grundlage entzogen. Deshalb forderten die Gewerkschaften die Regelung zum Wohle der Beamtenfamilien in NRW anzupassen.

 

Versorgungsrecht

Anspruch auf Versorgungsauskunft ab dem 55. Lebensjahr

 

Im letzten Themenblock "Versorgung" konnten DBB NRW und DSTG noch einmal den rechtlichen Anspruch auf Versorgungsauskunft ab dem 55. Lebensjahr in den Fokus rücken. Die Ansicht, dass die Verankerung eines solchen Anspruches erst ab dem 55. Lebensjahr gegeben sein soll und damit nicht ausreicht, teilten die übrigen Sachverständigen. Aus der Summe der Statements wurde deutlich, dass es sich hierbei um eine gegriffene Jahreszahl handelt, die eher mit der Arbeitsbelastung im LBV als mit Lebenssachverhalten zu tun habe, für die eine belastbare Versorgungsauskunft als Entscheidungsgrundlage für Planung des beruflichen Werdegangs nach der Familienphase erforderlich ist. Deshalb müsse zumindest in Ausnahmefällen eine Versorgungsauskunft auch vor Erreichen des 55. Lebensjahres möglich sein.

 

Ruhegehaltsfähigkeit der Fahndungszulage

 

Nach der Mittagspause stand der Themenblock "Besoldung" auf dem Programm. DSTG und DBB NRW NRW begrüßten die lange geforderte Rückkehr zur Ruhegehaltsfähigkeit der Fahndungszulage (auch für Altfälle). Eine rückwirkende Zahlung ist hingegen nicht vorgesehen. Die Änderung war seitens der Landesregierung schon lange angekündigt. Deshalb forderten die Gewerkschafter die Landesregierung auf, die Zulage rückwirkend ab der erstmaligen Ankündigung zu zahlen, um zumindest den Nachteil, der durch die späte Umsetzung entstanden ist, auszugleichen. Es könne den betroffenen Beamten nicht zum Nachteil gereicht werden, wenn die Landesregierung zwei Jahre für die Erfüllung ihres Versprechens braucht.

 

Daneben wurden am Rande noch andere Aspekte der schriftlichen Stellungnahmen von DBB NRW und DSTG diskutiert, die auf unserer Internetseite zum Download zur Verfügung stehen. Das Wortprotokoll zur Anhörung soll noch vor den Osterferien über die Landtagsseite www.landtag.nrw.de zur Verfügung gestellt werden.

 

Dienstrechtsrechtsreform am Ende nur Mittelklasse

Zum Schluss, nach fast sechsstündiger Anhörung, bewertete Prof. (em.) Dr. Dr. h.c. Ulrich Battis die Reformbemühungen und den Reformwillen der Landesregierung. Der vorliegende Entwurf enthalte durchaus neue und gute Ansätze, bleibe aber hinter seinen Möglichkeiten zurück. Rheinland-Pfalz, Bayern und auch Baden-Württemberg würden da schon deutlich weiter gehen und kämen damit einem modernen und zukunftsfähigen Dienstrecht deutlich näher. Im bundesweiten Vergleich bewege sich NRW eher im Mittelfeld, aber es gehe wenigstens über das Modell des Bundes hinaus.

 

Der DSTG ist es auf jeden Fall gelungen, die unserer Ansicht nach wichtigsten Punkte in die parlamentarische Diskussion einzubringen und die Aufmerksamkeit auf die besondere Situation in der Finanzverwaltung zu lenken. Ob es am Ende dazu beiträgt, dass in den verschiedenen Punkten noch ein Umdenkprozess stattfindet, bleibt abzuwarten.