Andrea Echelmeyer, DSTG NRW im Interview mit Reinhard Zumdick, Polizeipräsidium Münster
Echelmeyer: Herr Zumdick, Sie sind Ansprechpartner im Netzwerk #sicherimDienst, das vor etwa einem Jahr gegründet wurde. Was steckt dahinter?
Zumdick: "Sicher im Dienst" ist eine Kampagne des Landes Nordrhein-Westfalen im Rahmen der NRW-Initiative "Mehr Schutz und Sicherheit von Beschäftigten im öffentlichen Dienst". Kernelemente der Kampagne sind ein übergreifender Präventionsleitfaden sowie ein landesweites Präventionsnetzwerk.
Echelmeyer: Warum bedarf es eines solchen Netzwerks? Ist es nicht klar und üblich, dass man sich durch Reden und nicht mit Gewalt auseinandersetzt?
Zumdick: Leider nein. Ein aktives Bekennen zum Standpunkt ist heute wichtig, um allen - intern wie extern - klar zu machen, dass Deseskalation nicht mehr allein in einem Rückzug aus Konfliktsituationen bestehen kann und darf.
Echelmeyer: Was bietet mir #sicherimDienst?
Zumdick: Auf der Internetpräsenz Sicher im Dienst | #sicherimDienst stehen ein Leitfaden und Ansprechpartner*innen zur Verfügung. Jede*r kann dort Mitglied werden. Ziel ist es, alle in die Lage zu versetzen, konkrete Verbesserungen bei organisatorischen, baulichen Maßnahmen im eigenen Bereich vorzunehmen und beim Umgang mit Gewalterfahrungen sicher zu reagieren. Beschäftigte, Vorgesetzte und Behördenleitungen können sich hier informieren unabhängig davon, ob es um präventive Maßnahmen oder akuten Handlungsdruck aufgrund eines Vorfalls geht.
Echelmeyer: Wie erfolgt das für meine eigene Dienststelle konkret?
Zumdick: Zunächst ist es wichtig, das Thema erstmal aktiv zu behandeln und auf die Agenda zu setzen. Eine Gefährdungsanalyse für jede Dienststelle und jede darin liegende Einheit ist wichtig. Wo und wie findet der Kontakt zu externen Personen statt? Wie sind wir organisatorisch aufgestellt? Welche Hindernisse, welche Meldewege gibt es und wie dokumentieren wir solche Fälle? Ziel muss ein "Konfliktmanagement" sein, dass alle Beschäftigten kennen und nach dem sich alle richten. Dabei ist nicht nur die Abstimmung der Kommunikation und Maßnahmen wichtig, sondern auch die Lage der Räume.
Echelmeyer: Die Lage der Räume? Worauf muss ich da achten?
Zumdick: Die räumlichen Möglichkeiten zu analysieren ist natürlich Schritt eins. Ideal ist für Besprechungen mit "Sprengpotential" ein Raum mit zwei Türen, von denen die Beschäftigten eine im Rücken als Fluchtmöglichkeit haben sollten. Rund herum sollten die Büros nach Möglichkeit besetzt sein, so dass schnelle Hilfe möglich ist.
Echelmeyer: Solche Räume haben vermutlich nur die wenigsten Dienststellen. Technisch setzt der Bauzustand häufig Grenzen. Was kann ich da als Behördenleitung tun?
Zumdick: Das Beste daraus machen! Vielleicht macht ein zentraler Raum Sinn? Die Position von Tischen und Stühlen, die Ausstattung des Raumes und Abstände sollten genau überlegt werden. Gute Hinweise dazu sind im Leitfaden enthalten. Beschäftigte sollten grundsätzlich in Nähe zum Ausgang sitzen, um die Flucht jederzeit antreten zu können! Wenn von der Leitung bis zur untersten Arbeitsebene zudem alle den Ablaufplan für solche Situationen kennen, ist man gut gerüstet.
Echelmeyer: Manchmal begegnet man im Dienstalltag Andeutungen, bei denen zwar noch keine Strafanzeige möglich ist, sich aber latent eine Gefahr abzeichnet. Wenn beispielsweise klar ist, hier droht dem Beschäftigten etwas Übles, wenn er weiter handelt. Kann ich auch in diesem Fall Hilfe erhalten?
Zumdick: Grundsätzlich wird empfohlen, alle Sicherheitsvorfälle den Vorgesetzen zu melden. Dann kann man das weitere Vorgehen abstimmen. Zum Beispiel eine Beratung durch die kriminalpolizeilichen Beratungsstellen einzuholen, die Unfallkasse NRW hinzuzuziehen oder andere Experten von #sicherimDienst. Die zuständige kriminalpolizeiliche Beratungsstelle verfügt über ein "Mehr" an Informationen und Erfahrung mit solchen Situationen, die bei der Einordnung der Situation helfen. Unter Umständen kann auch eine Ansprache an die Person durch die Polizei erfolgen, mit der dieser das sozial inadäquate Verhalten vor Augen geführt wird (sog. Gefährderansprache). In Notfällen und im Zweifel immer den polizeilichen Notruf wählen.
Echelmeyer: Wie kann ich als Führungskraft abschätzen, was wann erforderlich wird?
Zumdick: Führungskräfte tragen im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht eine besondere Verantwortung gegenüber ihren Mitarbeitenden. Ihr Vorbild und ihre Maßnahmen für den Arbeits- und Gesundheitsschutz sind maßgeblich für die Haltung einer Organisation gegenüber allen Arten von digitalen, verbalen oder körperlichen Angriffen und Drohungen. Gerade für diese Gruppe werden nochmal wichtige und gute Hinweise vorgehalten unter:
https://www.sicherimdienst.nrw/themen/fuehrungsverantwortung-und-arbeitsschutz/rolle-von-fuehrung.
Hier gibt es u.a. Checklisten, die kostenfrei zur Verfügung stehen. Auch zur Dokumentationspflicht (stichpunktartiges Festhalten des Sachverhalts, Zeugen benennen, ggf. Anzeige erstatten) finde ich hier Näheres. Zudem gibt es Informationen zu Schulungen, um die Kompetenz des Kollegiums im Umgang mit Konflikten zu stärken.
Echelmeyer: Solche Konfliktsituationen wirken oft nach. Was kann ich da tun?
Zumdick: Eine Nachsorge nach belastenden Ereignissen, also eine psychologische Erstversorgung kann je nach Sachverhalt erforderlich werden. Kommt es zu Bedrohungen oder Gewalt ist ein Klima innerhalb der Organisation erforderlich, das den Betroffenen die Möglichkeit gibt, das Erlebte, die Auswirkungen und auch eventuell erkannte Handlungsschwächen offen anzusprechen - immer mit dem Ziel, erneute Angriffe zu vermeiden, Traumata zu begegnen und eine Umgebung der Wertschätzung und Unterstützung zu vermitteln. Auch hierfür sind Anlaufstellen auf der Internetpräsenz benannt.
Echelmeyer: Danke für das Gespräch!